Überblick
Auch in Deutschland leben Menschen, die keinen oder einen erschwerten Zugang zum Gesundheitssystem haben. Betroffen sind Menschen ohne Papiere, aber auch Deutsche ohne
Krankenversicherung, Asylsuchende und in zunehmendem Maße EU-Bürger*innen, die keinen Krankenversicherungsschutz nachweisen können. Diese Menschen werden im
Moment unvollständig – und meist unentgeltlich – in humanitären Parallelstrukturen zum Gesundheitssystem versorgt, obwohl sie über rechtliche Leistungsansprüche verfügen. Ziel muss es sein, den Zugang zur medizinischen Versorgung für alle Menschen in Deutschland zu verbessern – ohne Rücksicht auf ihren Aufenthaltsstatus oder ihr Einkommen.
Für Menschen ohne Papiere ist dieser ungehinderte Zugang zu medizinischer Versorgung de facto nicht gewährleistet. Insbesondere ist die Finanzierung ihrer Gesundheitsversorgung ungesichert. Bei Inanspruchnahme von Sozialleistungen drohen die Meldung an die Ausländerbehörde und die Abschiebung. Der Staat wird diesen Personen gegenüber seiner Pflicht nicht gerecht, mit aktiven Maßnahmen sicherzustellen, dass alle Menschen sanktionslos von ihren grundlegenden Rechten,
insbesondere dem Menschenrecht auf Gesundheit, Gebrauch machen können.
Rechtliche Ausgangslage: Einschränkung des Rechts auf Gesundheit
Die Bundesrepublik Deutschland hat eine Vielzahl internationaler Abkommen unterzeichnet, mit denen die Sicherstellung des Rechts auf Gesundheit und des Zugangs zum Gesundheitssystem für alle Menschen – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus – anerkannt wird. Zu nennen sind u. a. der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (sog. UN-Sozialpakt), die Kinderrechtskonvention, die UN-Frauenrechtskonvention sowie die UN-Behindertenrechtskonvention.
Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an. Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts umfassen die erforderlichen Maßnahmen (…) zur Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen.
—Artikel 12, UN-Sozialpakt
Nicht zuletzt ergibt sich ein Anspruch auf eine medizinische Grundversorgung aus der Verfassung mit der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Diese rechtlichen Verankerungen gelten für alle Menschen; keine enthält eine Einschränkung der Personengruppe z. B. nach Status, Aufenthaltsgenehmigung oder Migrationshintergrund.
In Deutschland ist die Versorgung für Menschen ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus dennoch beschränkt auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie die Versorgung bei Schwangerschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. §§ 1a und 4 AsylbLG). Für die Inanspruchnahme der Leistung ist ein Antrag auf Ausgabe eines Krankenscheines bei der zuständigen Sozialbehörde zu stellen.
Problemstellung: Übermittlungspflicht der Sozialämter an Ordnungsbehörden
Eine weitere zentrale Hürde in dem Verfahren ist die sog. Bedürftigkeitsprüfung durch die Sozialämter. Es müssen umfangreiche Papiere aufgebracht werden, was für Menschen ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus meist nicht möglich ist, bspw. Kontoauszüge, Mietvertragskopien, Kopien des Passes. Zudem ist mit dem Verfahren ein hoher Verwaltungsaufwand für die Krankenhausverwaltung, Sozial- und Ausländerbehörde verbunden, der mit einer hohen erforderlichen Sachkenntnis einhergeht. Aus den humanitären Parallelstrukturen zum Gesundheitssystem ist bekannt, dass die Umsetzung dieses Anspruchs sehr schwerfällig ist. Es bestehen rechtliche Unsicherheiten.
Erfährt das Sozialamt in dem Zusammenhang, dass kein erforderlicher Aufenthaltstitel besteht, ist es nach § 87 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verpflichtet, die Ausländerbehörde zu informieren. Dies verhindert insbesondere eine ambulante Versorgung. Im medizinischen Eilfall soll die Versorgung sichergestellt sein, ohne das zuvor ein Krankenschein beantragt werden muss. Die Kosten werden vom Sozialamt an das Krankenhaus nach § 6 a AsylbLG rückwirkend erstattet. In diesem Fall gilt ein „verlängerter Geheimnisschutz“ über die ärztliche Schweigepflicht hinaus nicht nur für medizinisches Personal, sondern auch für Verwaltungsmitarbeitende im Krankenhaus und für Angestellte der Sozialämter. Es dürfen keine Informationen über die Person an die Ausländerbehörde oder Polizei gemeldet werden. Was als medizinischer Eilfall definiert wird, ist jedoch je nach Bundesland und Kommune sehr unterschiedlich. Hinzu kommt, dass die zugehörige Verwaltungsvorschrift, die die Übermittlungspflichten eingrenzt (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum AufenthG, GMBL Nr. 42–61 vom 30.10.2009), unzureichend bekannt ist. Die Durchsetzung des Anspruchs der Krankenhäuser auf Rückerstattung der Kosten gelingt häufig nicht. Krankenhausverwaltungen üben daher teilweise Druck auf die Patient*innen und Angehörigen aus, die Behandlungskosten privat zu tragen, wozu diese nicht in der Lage sind. In der Beratungspraxis der Medinetze erfahren wir immer wieder von Fällen, in denen Menschen trotz medizinischer Notfälle von Krankenhäusern abgewisen werden, wenn diese keinen Kostenübernahmenachweis erbringen können.
Fazit
Es bleibt festzuhalten, dass lediglich derjenige Anspruch auf Krankenbehandlung als medizinisch geboten gelten kann, der notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (vgl. § 27 SGB V). Entsprechend ist auch für Menschen ohne Papiere ein ungehinderter Leistungsanspruch im Umfang des das medizinisch Notwendige definierenden Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleisten.
Medinetz Ulm e.V. setzt sich auf politischer Ebene für die Schaffung der Voraussetzungen ein, die notwendig sind, um allen Menschen auch faktisch das Wahrnehmen ihres grundlegendes Rechts auf gesundheitliche Versorgung zu ermöglichen.
Solange diese Voraussetzungen nicht geschaffen sind, zielt unsere praktische Tätigkeit vor Ort darauf ab, mit unserem persönlichen Engagement und mithilfe mit uns kooperierender Ärztinnnen und Ärzte, Übersetzer*Innen und Spender*Innen betroffenen Menschen die benötigte medizinische Versorgung zu ermöglichen, die ihnen ansonsten verwehrt bliebe.
Der Großteil des Textes auf dieser Seite entstammt dem Arbeitspapier der BAG Gesundheit/Illegalität aus dem Jahr 2017. Es enthält eine Vielzahl weiterer Informationen und Hintergründe zum Thema der Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere.